Mainz (ots) –
„Die einzige Sicherheit, die wir haben, ist doch die, überrascht zu werden“, sagte Gastgeberin Katarzyna Kompowska zur Eröffnung des 17. Coface Kongresses am Donnerstag (16. Mai) in Mainz. Im Anschluss fragte die CEO von Coface Nordeuropa: „Wie geht es mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland weiter und wie kommen wir wieder in Schwung?“ Antworten auf diese Fragestellung lieferten im Tagesverlauf die anwesenden Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik – darunter DIW-Präsident Marcel Fratzscher und die KI-Expertin Feiyu Xu. Rund 1.700 Teilnehmende, darunter 300 Besucher vor Ort in der Halle 45 in Mainz, waren der Einladung des internationalen Kreditversicherers zum hybrid ausgetragenen Event gefolgt.
„Wenn wir in 15 oder 20 Jahren zurückschauen, werden wir sagen, dass Anfang der 2020er die entscheidenden Jahre waren, in denen für viele Unternehmen aber auch gesamtwirtschaftlich die Weichen gestellt wurden“, sagte Marcel Fratzscher. Er beschrieb große und parallel stattfindende Transformationen, die die deutsche Wirtschaft derzeit bewältigen müsse: Zum einen die Neuaufstellung und Diversifizierung von Lieferketten, um unter anderem die Abhängigkeit von China zu reduzieren. China kontrolliere wichtige Rohstoffe, sei für die Dax-40-Unternehmen ein wichtiger Investitionsstandort und führend in Schlüsseltechnologien wie der Batterietechnik. „Wir müssen weg von einer Just-in-time-Globalisierung hin zu einer Just-in-case-Globalisierung, bei der Unternehmen sich fragen, was sie benötigen, um weiter produzieren zu können, wenn große Krisen kommen“, so Fratzscher.
„Vermisse Energielevel und Passion“
Eine weitere, technologische Transformation erfolge auf digitaler und ökologischer Ebene, um beispielsweise klimatischen Risiken zu begegnen bzw. im Bereich der Künstlichen Intelligenz wettbewerbsfähig zu sein. „Beim Thema KI vermisse ich in Deutschland im Vergleich zu China den Energielevel und die Passion, um etwas Neues zu schaffen und voranzukommen“, sagte Feiyu Xu, KI-Expertin und Aufsichtsrätin von Airbus und ZF. Auch die amerikanische Innovationskraft im Bereich der KI hänge sehr stark von chinesischen und indischen Fachkräften ab, die über Greencards den Weg in die USA fänden, so Xu. Darüber hinaus würden KI-Jobs in China und den USA deutlich besser bezahlt als in Europa. Als größte und zentrale Aufgabe beschrieb Marcel Fratzscher die soziale Transformation, bei der es darum gehe, die gesellschaftliche Akzeptanz für die anstehenden Veränderungen zu schaffen. „Der Pessimismus ist groß, viele sind frustriert und enttäuscht“, so Fratzscher.
Erfolgreiche Präsenz in China zentral für die Automobilbranche
Ein Aushängeschild der deutschen Wirtschaft ist seit jeher die Automobilindustrie, die bis 2028 rund 280 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investiert, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Als Exportindustrie liefert die Branche rund drei Viertel ihrer Produktion ins Ausland. „Wir sind gut aufgestellt, um die Herausforderungen anzunehmen“, sagte Karoline Kampermann vom Verband der Automobilindustrie (VDA), „aber wir sind auch gleichzeitig besorgt, weil sich am Standort Deutschland und in Europa strukturell wenig tut.“ Betroffen sei vor allem der Mittelstand, der zwar global aufgestellt, aber zugleich stark in Deutschland verwurzelt ist. Die Verbindung zu China sei für die Automobilindustrie alternativlos: Rund jeder vierte Pkw weltweit wird in China zugelassen. „Wer weltweit führend sein will, , muss in China präsent sein“, erklärte die Automobilexpertin. Wenn die Rahmenbedingungen stimmten, werde auch die Akzeptanz von E-Autos weiter deutlich zunehmen: „Wer elektrisch fährt, wird schnell sehen, wie einfach es ist. Neueinsteiger werden es gar nicht mehr anders kennen“, prognostizierte Karoline Kampermann. Feiyu Xu wies darauf hin, dass die Software besonders nutzerfreundlich sein müsse, damit Menschen sie akzeptieren und gerne nutzen.
„Wird viel diktiert und vorgeschrieben“
Für mehr Handlungsfreiheit sprach sich Marc Böttger aus, der als Geschäftsführer der Profine Gruppe den Mittelstand vertrat. „Es wird sehr viel diktiert und vorgeschrieben. Dabei ist es doch die Stärke des Mittelstands, dass wir auch in vergangenen Krisen über Innovation, Resilienz und Unternehmertum Lösungen gefunden haben“, so Böttger. Der Weg, Lösungen zu finden, werde immer mehr eingeengt. Für mehr unternehmerische Freiheit sprach sich auch Karoline Kampermann aus. „Wir kommen teilweise seit Jahrzehnten mit wichtigen Märkten nicht zum Abschluss eines Handelsabkommens, weil von europäischer Seite immer wieder zusätzliche Anforderungen und Standards mit in die Verhandlungen aufgenommen werden“, so die VDA-Verteterin. Man sei jedoch auf diese Allianzen angewiesen, gerade im Hinblick auf die Diversifizierung von Lieferketten in geopolitisch turbulenten Zeiten. „De-Risking muss von politischen Maßnahmen flankiert werden.“
Zahl der Staatsstreiche in Afrika gestiegen
Einen Blick auf globale Wirtschaftsrisiken warf Coface-Volkswirtin Christiane von Berg. Sie wies darauf hin, dass das Superwahljahr 2024, in dem über 70 Länder und rund die Hälfte der Weltbevölkerung zur Wahlurne schreiten, auch politische Risiken birgt. „Bei Wahlen in wirtschaftlich und gesellschaftlich unsicheren Zeiten werden häufig Parteien am politischen Rand gewählt“, sagte Christiane von Berg. Die Folge: Eine langwierige, schwierige Regierungsbildung und schwelende Unsicherheit darüber, ob die Regierungen halten, was in einem Reformstau mündet. Alternative Machtübernahmen, z. B. über Staatsstreiche, hätten sich zuletzt gerade in Afrika gehäuft, mit erheblichen Folgen für die Bevölkerung. „Häufig werden in diesen Ländern, deren neue Machthaber international nicht anerkannt sind, die Entwicklungshilfen aus Europa zurückgefahren“, so die Volkswirtin. Das würden Länder wie China, Russland, aber vermehrt auch Indien, Saudi-Arabien oder die Türkei nutzen, um einzuspringen und ihre Macht in der Region auszubauen. „In der Folge verliert Europa Einfluss in einer Region, die reich an Rohstoffen ist.“ Ein weiteres Handicap, vor allem für Ostafrika, sei die stark gesunkene Frequenz an Getreidelieferungen durch den Suezkanal, wo die Huthi-Rebellen mit ihren Angriffen auf Handelsschiffe Reedereien dazu bewegten, den sichereren, aber zum Teil deutlich längeren Weg über das Kap der Guten Hoffnung zu wählen. Die Lebensmittelknappheit heize die Umbruchstimmung in dieser Region zunehmend an.
Zum anvisierten Inflationsziel von zwei Prozent stellte Christiane von Berg fest, dass die „letzten Meter“ die schwierigsten seien. Ein Grund: „Die Schere zwischen Löhnen und Produktivität geht weiter auseinander. Das bedeutet für die Wirtschaft, dass die Lohnstückkosten stark steigen. Diese Mehrkosten werden an die Verbraucher weitergegeben“, so die Volkswirtin. Sowohl von Berg als auch Marcel Fratzscher verwiesen auf das große Potenzial von Frauen, die in Teilzeit arbeiten. Hier müsse der Staat Voraussetzungen schaffen, um mehr Frauen in Vollzeitbeschäftigung zu bringen.
Positiver Ausblick
Bei allen Warnsignalen gab es im Laufe des Tages auch zahlreiche Hoffnungsschimmer für den Standort Deutschland. Marcel Fratzscher betonte, dass Deutschland als offene Volkswirtschaft 45 Prozent seiner Wirtschaftsleistung aus Exporten generiere und dadurch einen höheren Preis zahle, wenn die Weltwirtschaft schwächelte. „Das bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass die deutsche Wirtschaft stärker profitiert, wenn sich die globale Wirtschaft wieder erholt“, so Fratzscher. Darüber hinaus gebe es drei Stärken, die den Wirtschaftsstandort Deutschland auszeichnen: ein sicherer und starker Rechtsstaat, eine resiliente und langfristig orientierte Wirtschaftsstruktur und eine starke, solidarische Zivilgesellschaft.
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