Gesundheitspolitik auf dem Prüfstand / Qualitätsmedizin für alle wäre ohne Private Krankenversicherung nicht mehr finanzierbar

Berlin (ots) –

Es ist ein trauriger Rekord: Für 2023 wird bei der Gesetzlichen Krankenversicherung ein Defizit von 17 Milliarden Euro erwartet. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht von einem historischen Ausmaß. Wieder einmal werden die Steuerzahler zur Kasse gebeten. Und einmal mehr kommen zugleich Begehrlichkeiten mit Blick auf die wirtschaftlich gesunde Private Krankenversicherung (PKV) zum Vorschein. Verfechter einer sogenannten Einheitsversicherung würden dabei geflissentlich übersehen, welchen essentiellen Beitrag die PKV für die Aufrechterhaltung einer hochwertigen und flächendeckenden medizinischen Versorgung in Deutschland leiste, sagt der Gesundheitsexperte Frank Rudolph.

In den Debatten um die Finanzierung unseres Gesundheitswesens weist der Verband der Privaten Krankenversicherung darauf hin, dass auch gesetzlich versicherte Patienten in hohem Maße von Leistungen der PKV profitieren würden. Wie soll das denn möglich sein?

Das wird leider von Kritikern einer angeblichen Zwei-Klassen-Medizin gern übersehen – oder gar bewusst ausgeblendet. Aber Tatsache ist, dass es für viele Facharztpraxen und Kliniken ohne Einnahmen aus der PKV deutlich schwieriger und teils unmöglich wäre, die medizinische Versorgung auf dem neuesten Stand der Technik zu halten. Da gilt oft eine Faustformel: Was wir von den gesetzlichen Krankenkassen für unsere Leistungen bekommen, reicht zwar aus, um die Basiskosten zu decken – von Mieten über Energie und Verbrauchsmaterial bis zu den Gehältern der Arzthelferinnen. Doch für ein gutes eigenes Einkommen und vor allem für größere Investitionen werden in vielen Fällen die zusätzlichen Einnahmen aus der Behandlung von privatversicherten Patienten dringend gebraucht.

Lässt sich diese „Faustformel“ belegen, gibt es Studien dazu?

Schauen wir uns die gerade veröffentlichte Untersuchung des Datendienstleisters Rebmann Research zum Beitrag der PKV zur Innovation in der ambulant-ärztlichen Versorgung an. Daraus geht hervor, welchen hohen Stellenwert die Einnahmen aus dem Bereich der PKV bei der Finanzierung innovativer Diagnose- und Therapiemethoden haben. Das ist natürlich ein betriebswirtschaftliches Herangehen, aber Arztpraxen müssen nun einmal finanzierbar sein und bleiben. Also muss man auch über Geld reden. Für die Rebmann-Studie wurde die Verwendung der Mehrumsätze analysiert, die sich aus der Behandlung von Privatversicherten ergeben. Diese Mehrumsätze entstehen, weil es für Privatpatienten nicht die GKV-typischen Budgetbeschränkungen gibt und zudem von der PKV oft höhere Honorare gezahlt werden.

Über welche Summen reden wir?

Laut der Studie liegen diese zusätzlichen Umsätze im ambulant-ärztlichen Bereich bei mehr als 6 Milliarden Euro pro Jahr, was einem Schnitt von mehr als 55.000 Euro je Arztpraxis entspricht. Ein sehr großer Teil davon wird zur Deckung von Kosten der Modernisierung von Diagnose und Therapie verwendet. Und das kommt natürlich nicht allein den Privatpatienten zugute, sondern auch den gesetzlich versicherten Patienten. Ohne die PKV sähe es in Sachen Innovation und Modernisierung spürbar schlechter aus. Ich zitiere Florian Reuther, den Direktor des Verbands der PKV: „Die Refinanzierung moderner Medizintechnik würde teilweise fast doppelt so lange dauern.“In bestimmten Fällen würde sich die Anschaffung innovativer Diagnose- und Behandlungsmethoden für die Arztpraxis überhaupt nicht mehr lohnen.“

Ohne die Mehrumsätze, die durch die Behandlung von Privatversicherten generiert werden, wäre die Ausstattung der Arztpraxen mit moderner Medizintechnik also schlechter. Dabei liegt der Anteil der Versicherten in der PKV an der Gesamtbevölkerung lediglich bei 10,5 Prozent. Die wirtschaftliche Bedeutung der Privatversicherten für die Praxen und Kliniken liegt hingegen klar über ihrem Anteil an der Bevölkerung. Mit anderen Worten: Wer die PKV abschaffen will, muss sich vom Anspruch auf eine flächendeckende moderne medizinische Versorgung in Deutschland verabschieden. Die defizitäre GKV allein kann sie nicht gewährleisten. Das bekommen wir nur dank der Dualität, also des wechselseitigen Nebeneinanders von GKV und PKV hin.

Lässt sich das an konkreten Beispielen veranschaulichen?

In der schon erwähnten Studie wird unter anderem ein Beispiel aus der Augenheilkunde angeführt. Danach ist eine Investition in die optische Kohärenztomografie (OCT) zur Diagnostik und Therapiesteuerung bei Netzhauterkrankungen unter den Bedingungen des dualen Gesundheitssystem aus GKV und PKV bei niedergelassenen Augenärzten nach 1,8 Jahren refinanziert. Gäbe es keine PKV-Mehrumsätze, stünde lediglich der einheitliche Vergütungsrahmen der GKV zur Verfügung. Die Refinanzierung würde den Berechnungen zufolge dann 5,4 Jahre dauern. Ich denke, das spricht für sich – und für den Erhalt des dualen Systems.

Das Problem mit den jährlichen Milliardendefiziten bei der GKV ist damit allerdings nicht vom Tisch…

Richtig. Aber es kann nicht dadurch gelöst werden, dass man der PKV in die Tasche greift oder sie gar abschafft, um eine Einheitsversicherung nach dem Motto „One size fits all“ zu etablieren. Warum geht Herr Lauterbach nicht mal die Einsparpotenziale im Bereich der GKV an, da ließe sich das Defizit bestimmt deutlich nach unten drücken.

Wie meinen Sie das?

In Deutschland werden rund 73 Millionen Krankenversicherte von einer der 96 gesetzlichen Krankenkassen versorgt. Diese Kassen bieten allesamt mehr oder weniger dieselben Leistungen. Wenn man die Zahl der Kassen reduziert, dann senkt man die Kosten – und damit das Defizit. Wenn die Politik die Entwicklung der Krankenkassenbeiträge in noch vertretbaren Grenzen halten will, dann sollte sie hier ansetzen und bei den gesetzlichen Kassen auf die Kostenbremse treten. Die ganze Absurdität der GKV-Finanzierung kann man sehr leicht erkennen, wenn man Jahresberichte von gesetzlichen Krankenversicherungen und von privaten nebeneinander legt und den Punkt Verwaltungskostenpauschale vergleicht. Bei der GKV liegt sie deutlich über 10 Prozent, bei der PKV sind es weniger als 5 Prozent. Das spricht doch Bände.

Die Anzahl der privaten Krankenversicherungen ist allerdings auch eindrucksvoll: Der PKV-Verband hat 42 Mitgliedsunternehmen…

Der Unterschied besteht natürlich darin, dass die Privatversicherten nicht mit Steuergeldern subventioniert werden, sondern vielmehr ihrerseits mit ihren Steuern den Ausgleich der Defizite bei der GKV mitfinanzieren. Zudem bieten die privaten Krankenversicherungen – anders als die gesetzlichen – eine sehr große Palette unterschiedlicher Leistungen mit individuell anpassbaren Tarifen an. Hinzu kommen die privaten Zusatzversicherungen, mit denen auch viele gesetzlich Versicherte die GKV-Leistungen ergänzen. Denken Sie an die stark nachgefragten zahnärztlichen Zusatzversicherungen. Wir sollten hier also nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Die PKV belastet den Staatshaushalt nicht. Die GKV und das dazugehörige System der Kassenärztlichen Vereinigungen hingegen kosten die Steuerzahler von Jahr zu Jahr mehr Geld. Da sollte die Politik ansetzen.

Was schlagen Sie vor?

Neben der Zusammenlegung von gesetzlichen Krankenkassen zwecks Drosselung der Verwaltungskosten sollte man auch hinterfragen, ob wir in Deutschland 17 Kassenärztliche Vereinigungen (KV) brauchen. Bekanntlich sind die KV für die organisatorische Abwicklung der vertragsärztlichen Versorgung der GKV-Versicherten zuständig. Als das System geschaffen wurde, hatte es seine Berechtigung. Eine KV pro Bundesland, für Nordrhein-Westfalen sogar zwei. Das schien irgendwie zu passen. Heute aber leben wir im Zeitalter der Digitalisierung. Jede Arztpraxis meldet ihre Daten online an die jeweilige KV. Brauchen wir dann noch 17? Meines Erachtens würden vier zentralisierte KV vollkommen ausreichen – jeweils eine für Nord, Süd, West und Ost. Vielleicht genügt sogar eine KV für ganz Deutschland. Da könnte man Unmengen an Geld sparen.

Würde man damit nicht das Prinzip der Selbstverwaltung aushebeln, wonach nicht staatliche Behörden die medizinische Versorgung regeln – wie in Italien oder Großbritannien -, sondern die Träger des Systems?

Es ist gut und richtig, dass sich in Deutschland die Träger des Gesundheitswesens organisieren, um in eigener Verantwortung die medizinische Versorgung zu gewährleisten. Dieses Prinzip hat sich ebenso bewährt wie die Dualität von GK und PKV. Das heißt aber nicht, dass die Selbstverwaltung für immer und ewig auf eine Art und Weise organisiert werden muss, die darauf hinausläuft, dass die Verwaltungskosten immer weiter steigen. Da wäre eine Schlankheitskur dringend zu empfehlen – ohne den Grundsatz der Selbstverwaltung auszuhebeln. Sonst haben wir bald einen Zustand, in dem die Selbstverwaltung vor allem damit zu tun hat, sich selbst zu verwalten – und zwar auf Kosten der Versicherten. Wenn man die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigungen reduziert, senkt man Kosten deutlich und muss nicht ständig den Steuerzahler schröpfen oder – wie der Bundesgesundheitsminister das nun offenbar vorhat -, die Beiträge zur Krankenversicherung erhöhen.

Die bundesweit einheitliche Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung ist für 2023 auf 66.600 Euro angehoben worden, im Vorjahr lag sie noch bei 64.350 Euro. Was bedeutet das für die Private Krankenversicherung?

Begründet werden die jährlichen Anhebungen der Versicherungspflichtgrenze – auch als Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) bezeichnet – zwar mit der allgemeinen Einkommensentwicklung. Aber das ist scheinheilig. Man muss auch Faktoren wie die inzwischen turmhohe Inflation berücksichtigen. Unterm Strich heißt das, Angestellte müssen immer mehr verdienen, um sich frei zwischen GKV und PKV entscheiden zu können.

Wie funktioniert das genau?

Die JAEG bestimmt, ab welchem Gehalt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr obligatorisch in der GKV versichert sein müssen, sondern in eine private Krankenversicherung wechseln dürfen, wenn sie dies wünschen. Früher entsprach die JAEG jeweils der Beitragsbemessungsgrenze, also jenem Wert, bis zu dem ein Einkommen für Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung herangezogen wird. Das wurde 2002 durch die damalige rot-grüne Bundesregierung entkoppelt; die JAEG steigt seitdem stärker als die Beitragsbemessungsgrenze, die in diesem Jahr bei 59.850 Euro liegt. Die von Roten und Grünen durchaus erwünschte Folge: Immer mehr Beschäftigte müssen in der GKV bleiben oder entscheiden sich mit Blick auf ihre gesamte Kostenbelastung gegen die PKV und bleiben „freiwillig“ in der GKV. So werden der Systemwettbewerb und die Wahlfreiheit der Menschen mit staatlichen Mitteln eingedämmt. Das ist nichts anderes als die schleichende Einführung einer „Arbeitnehmer-Bürgerversicherung“. Auf diese Weise rückt die Erfüllung von Herrn Lauterbachs großem sozialistischen Traum von einer Einheitskrankenversicherung schrittweise näher, obwohl das duale System von GKV und PKV dank der FDP in der Legislaturperiode der Ampel offiziell nicht angetastet werden darf.

Um die Milliardendefizite der GKV zu reduzieren, plädieren Grüne und Sozialdemokraten auch dafür, die Beitragsbemessungsgrenze deutlich anzuheben. Müsste man die damit zwangsläufig verbundenen Mehrbelastungen für die Beschäftigten nicht hinnehmen, damit wir auch künftig ein modernes Gesundheitswesen finanzieren können?

Vor derartigen Plänen kann ich nur warnen. Sollte die Beitragsbemessungsgrenze für die Kranken- und Pflegeversicherung von derzeit 59.850 Euro tatsächlich an das Niveau der Bemessungsgrenze für die Rentenversicherung angeglichen werden (derzeit 87.600 Euro), könnte das verheerende Folgen haben. Dabei denke ich gar nicht in erster Linie an die Auswirkungen auf die PKV und auch nicht an die Geldbeutel der Beschäftigten, sondern an die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Die Abgabenlast auf Löhne und Gehälter in Deutschland ist so stark wie in nahezu keinem anderen Industrieland der Welt.

Laut Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt die Abgabenquote bei einem verheirateten Paar mit Kindern in Deutschland durchschnittlich bei 40,8 Prozent. Im Schnitt aller 38 OECD-Staaten beträgt sie 29,4 Prozent. Hinzu kommen andere Belastungen für unsere Wirtschaft: Zu viel Bürokratie, sinkende Innovationsbereitschaft, hohe Energiekosten, Arbeitskräftemangel. Abgesehen davon würden Kaufkraft und Konsum leiden, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wegen höherer Krankenkassenbeiträge noch weniger Netto vom Brutto behalten sollten. Insgesamt nimmt Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit laut einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) bereits jetzt immer weiter ab. Wenn nun auch noch die Krankenkassenbeiträge, die bekanntlich zur Hälfte von den Unternehmen aufzubringen sind, überproportional steigen sollten, wäre der Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland unermesslich.

Es gibt auch Forderungen, die Beitragsbemessungsgrenze für die Krankenversicherung deutlich zu senken, so dass die PKV wieder mehr Zulauf bekommt. Halten Sie das für vernünftig?

Ich kann solche Wünsche zwar nachvollziehen, aber vernünftig wäre das nicht. Wie tief könnte die Grenze festgesetzt werden, ohne dass für die GKV ein irreparabler Schaden entsteht? Wie will man verhindern, dass am Ende vor allem Alte und chronisch Kranke in der GKV verbleiben, und die Jüngeren und Gesunden in die PKV abwandern? Wenn überhaupt, dann könnte das nur funktionieren, wenn bei der Aufnahme in die PKV Vorerkrankungen keine Rolle spielen dürfen. Bislang ist es so, dass die GKV quasi verpflichtet ist, jeden zu nehmen, unabhängig vom Gesundheitszustand. Die PKV kann sich das aussuchen beziehungsweise über die Höhe der jeweiligen Tarife steuern, wer zu ihr kommt. Eine angemessene Höhe der Beitragsbemessungsgrenze ist also auch mit Blick auf das Verhältnis von GKV und PKV durchaus berechtigt und kann dazu beitragen, dass das duale System nicht ins Ungleichgewicht gerät. Richtig wäre es aber, die Jahresarbeitsentgeltgrenze wieder mit der Beitragsbemessungsgrenze zu koppeln. Das würde nicht nur gleich lange Spieße für alle Wettbewerber bedeuten, sondern auch dazu beitragen, den nützlichen Beitrag der PKV für das Gesundheitswesen insgesamt zu erhalten und zu stabilisieren.

Frank Rudolph (Jahrgang 1960) ist mit der Kalkulation und Abrechnung medizinischer Leistungen seit vielen Jahren vertraut. Als Geschäftsführer des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit e.V. (BVVG) kennt er die Folgen gesundheitspolitischer Weichenstellungen in Bund und Ländern für die medizinische Versorgung der Bevölkerung – insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses von Kosten und Nutzen. Der in Essen geborene Betriebswirt ist Mitglied der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU. Von 2007 bis 2013 war Rudolph Mitglied der Bundeskommission Gesundheit. Seit 2007 ist er 1. stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CDU NRW.

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Bundesverband Verrechnungsstellen Gesundheit e.V.
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Quelle: ots

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